Der Verwaltungssitz einer Gemeinde befindet sich in der Regel in der größten Fraktion. Das war bei der Gemeinde Karneid bis zum Jahre 1928 der Fall. Vergleichen wir jedoch den heutigen Verwaltungsaufwand einer Gemeinde mit jener von vor hundert und mehr Jahren, so gab es zur damaligen Zeit kein eigentliches Gemeindeamt. Es gab auch einen Bürgermeister, damals Gemeindevorsteher genannt, und einen Ausschuss, der für die Beschlüsse zuständig war. Die erforderlichen schriftlichen Arbeiten wurden vom so genannten Gemeindeschreiber erledigt. In der Regel bekleidete dieses Amt ein schreibkundiger Mitbürger. Es ist naheliegend, dass vielfach Lehrer mit dieser Aufgabe betraut wurden.
Am 30. September 1849 wurde Stephan Schroffenegger, nachdem er bis dahin als so genannter Gehilfe gearbeitet hatte, offiziell als Lehrer angestellt. Er war der erste weltliche Lehrer in der Gemeinde Karneid. Bis dahin wurde die Schule ausschließlich von Klerikern gehalten. Als Lehrer, Organist und Kapellmeister erwarb sich Stephan Schroffenegger in der Bevölkerung hohes Ansehen. Daher ist es nicht verwunderlich, dass ihm auch die verantwortungsvolle Aufgabe des Gemeindesekretärs übertragen wurde.
Zur damaligen Zeit war es üblich, dass der Gemeindesekretär immer in der Nähe des Bürgermeisters sein musste. Das war der Grund, warum Stephan Schroffenegger im Jahre 1869 als Lehrer von Steinegg nach Gummer wechselte, da damals diese Fraktion den Gemeindevorsteher stellte. In Ermangelung eines eigenen Gemeindeamtes wurden sämtliche Schreibarbeiten in den Wohnräumen des Sekretärs erledigt, während die erforderlichen Sitzungen der politischen Gemeindevertreter in der Regel in den Gasthäusern abgehalten wurden.
Diese Situation hielt bis zum Jahre 1928 an. Nachdem der Faschismus in Italien an die Macht gekommen war, änderte sich auch in Südtirol die Situation nach und nach. Die demokratisch gewählten Gemeindevertreter wurden nach und nach durch so genannte Podestà ersetzt. Diese hatten ein großes Interesse daran, die Verwaltungsstrukturen der Gemeinden ins Tal zu verlegen. So wurde unter dem Podestà Alfredo Pollo der Sitz der Gemeinde Karneid, der sich damals offiziell in Steinegg in einem kleinen Häuschen neben dem Lehrerhaus befand, provisorisch nach Blumau verlegt, obwohl mehrheitlich für Steinegg votiert worden war. Fünf Jahre später, 1933, übersiedelte Podestà Giuseppe Lo Buono die Gemeindeämter nach Kardaun in die Räumlichkeiten der ehemaligen Porzellanfabrik, die der Gemeinde für die Errichtung eines Altersheimes übermittelt worden war. Seither befindet sich der Sitz in Kardaun, in unmittelbarer Nähe der Landeshauptstadt und von allen Fraktionen aus relativ leicht und schnell erreichbar.
Die Gemeindeämter wurden in den letzten Jahrzehnten mehrmals um- und ausgebaut. Bis zur Übersiedlung des Altersheimes ins neu errichtete Gebäude nach Steinegg, befanden sich die Gemeindeämter im Parterre. Nach neuerlichen Um- und Erweiterungsbauten erfüllt der Sitz der Gemeinde Karneid heute alle Erfordernisse einer modernen und effizienten Verwaltung. Seit dem Jahre 2004 schmücken Wandfresken die Fassade des renovierten Gemeindeamtes. Sie wurden vom Grödner Künstler Roland Moroder geschaffen und symbolisieren die sechs Fraktionen der Gemeinde: Breien, Blumau, Steinegg, Gummer, Karneid und Kardaun.